Dekanat Rüsselsheim

Angebote und Themen

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        Evangelische und Katholische Kirche nehmen Bundestagskandidat*innen aus dem Kreis Groß-Gerau ins Verhör

        Sozialpolitischer Online-Talk

        Heidi Förster

        Wie wollen die Bundestagskandidat*innen im Kreis Groß-Gerau ein soziales und gerechtes Zusammenleben in Zukunft sichern? Dazu wurden die Kandidat*innen zur Bundestagswahl Lars Nitschke (Grüne), Jörg Cezanne (Linke), Melanie Wegling (SPD) und Stefan Sauer (CDU) am 13. September 2021 in einer Online-Podiumsdiskussion von Vertretern der evangelischen und katholischen Kirchen im Kreis Groß-Gerau befragt.

        Zu Beginn stellte Eric Niekisch vom Caritasverband die Frage an die Kandidat*innen: „Wie tragen Sie dazu bei, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und strukturelle Ausgrenzung bis hin zu offenem Rassismus zu wehren?“
        Jörg Cezanne setzt sich für schnellere und sichere Hilfen ein, „damit Menschen nicht befürchten müssen, allein gelassen zu werden.“ Stefan Sauer hat viel Hilflosigkeit während der Corona-Pandemie erlebt, sieht allgemein Gesellschaft im Umbruch und will sich für einen stärkeren Dialog einsetzen. Lars Nitschke möchte mit konkreten Plänen solidarisches, gesellschaftliches Leben verbessern: „Deswegen finde ich es wichtig, in öffentliche Räume zu investieren, Teilnahme ermöglichen, damit sich Menschen begegnen können, queere Zentren, Angebote für Kinder und Jugendliche müssen verbessert werden. Persönlich will ich mich für Jugendpartizipation einsetzen, möchte, dass Kinderrechte ins Grundgesetz aufgenommen werden.“
        Melanie Wegling möchte „mit den Menschen statt über die Menschen sprechen“. Um nah dran zu sein an den Problemen und Herausforderungen für ein gerechteres Zusammenleben betont sie die Bedeutung ehrenamtlichen Engagements und geht mit eigenem Vorbild voraus, denn sie hat selbst bei der Caritas ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe gearbeitet. Wenn sie gewählt wird möchte sie sich für ein gerechteres Steuersystem und Klimaschutz einsetzen.
        Einig waren sich die Kandidat*innen, sich aktiv gegen Rassismus, Ausgrenzung und Hass in der Gesellschaft einzusetzen. Melanie Wegling: „Wir müssen es benennen, dagegen auf die Straße gehen, dürfen es nicht durchrutschen lassen, müssen uns selbst verpflichten, auf unsere Sprache und unsere Haltung zu achten, Sprache schafft Bewusstsein.“ Lars Nitschke ergänzt: „Wir sollten dafür sorgen, dass die Menschen nicht nebeneinander sondern miteinander leben. Ängste lassen sich abbauen, wenn wir Integration in diesem Land leben.“

        Thema Pflegenotstand

        Ingrid Reidt von der katholischen Betriebsseelsorge brachte während der Online-Diskussion das Thema Pflegenotstand mit Fachkräftemangel in allen pflegerischen Bereichen, die Wettbewerbssituation im Bereich der Daseinsfürsorge, die Überlastung und mangelnde Wertschätzung der Pflegeberufe auf den Punkt und fragte in die Runde: „Wie werden Sie konkret das Gesundheitssystem gestalten und nachhaltig gewährleisten, dass es für alle eine Versorgung gibt?“ Klar positionierte sich Wegling für bessere Arbeitsbedingung und Bezahlung für Menschen, die in der Pflege arbeiten, was die SPD mit einer Bürgerversicherung und damit der Abschaffung des privaten Gesundheitssystems gewährleisten will. Cezanne ergänzte, dass zusätzlich 100.000 Pflegekräfte gebraucht würden. Cezanne möchte sich für Verbesserungen in der ambulanten Kurzzeitpflege stark machen, „um pflegenden Angehörigen eine Erleichterung zu gewähren.“ Auch Sauer möchte sich dafür stark machen, „das Gesundheitssystem zu durchforsten und nachzusteuern.“ Dabei gehe es um eine bessere Unterstützung der Pflege zuhause und die Nachbehandlung von Klinikpatienten. Für die Angehörigenpflege schlägt  Nitschke vor, „bessere Lohnersatzleistungen für Angehörige zu zahlen“. Wegling versprach im Fall ihrer Wahl: „einige Tage in der Pflege mitarbeiten und dann in die Initiative gehen.“

        Zukunft des Sozialstaats

        Lucian Lazar, Leiter des regionalen Diakonischen Werks Groß-Gerau-Rüsselsheim, skizzierte die auseinanderklaffende soziale Schere. „In unseren Beratungsstellen nehmen wir verstärkt Menschen wahr, die von Armut betroffen sind. Corona-Geschädigte, die alles verloren haben. Die Entwicklung zieht sich durch alle gesellschaftlichen Schichten. Gering-Qualifizierte, Alleinerziehende sind besonders betroffen. Uns macht es große Sorgen, dass Menschen von ihrem Einkommen nicht leben und überleben können. Als Vertreter der Tafel nehme ich den Hilfebedarf tagtäglich wahr, weil viele in der Mitte des Monats ihr Leben für die Familie nicht mehr bestreiten können.“ Von den Kandidat*innen wollte er wissen: „Wie wollen Sie in Berlin sicherstellen, dass Menschen von ihrem Einkommen menschenwürdig leben können und ihre Zukunft und Existenz sichern können? Und wie wollen Sie dem Problem der Kinderarmut und den geringen Bildungschancen angehen?“
        Stefan Sauer hatte hierfür keine Antwort, sieht allerdings, dass Menschen oft mehrere Jobs zur Existenzsicherung brauchen und dass es inzwischen „eine offene, erkennbare Armut“ gebe.  Wegling möchte den Mindestlohn von 12 Euro einführen, „damit Menschen von ihrem Verdienst leben können“ und das Steuersystem überarbeiten, kleine und mittlere Einkommen entlasten und Reiche solidarisch mehr belasten.“  Cezanne fügte die Mindestsicherung bei der Rente an und Nitschke plädierte für die Vermögenssteuer: „Wir brauchen eine gerechtere Verteilung unseres Wohlstandes durch eine Vermögenssteuer, eine neue Stufe im Steuersatz mit 45 Prozent bei Einkommen von 100.000 Euro und mit 48 Prozent bei 500.000 Euro. Wichtig ist daneben eine Kindergrundsicherung.“
        Für mehr Bildungsgerechtigkeit schlägt Wegling beitragsfreien Kitas vor. Nitschke fügte hinzu, dass für die Einstellung von mehr Lehrer*innen der Staat Geld in die Hand nehmen müsse. Cezanne möchte sich für eine bessere Nachmittagsbetreuung von Grundschüler*innen und Ganztagsschulen stark machen. Nitschke möchte auch für die Student*innen etwas tun, ist selbst auf Bafög angewiesen, findet das System nicht gerecht und möchte elternunabhängiges Bafög einführen.

        Verantwortung in Europa und der Welt

        Dr. Andreas Löhr, stellvertretender Vorsitzender des Dekanatsrats des katholischen Dekanats Groß-Gerau brachte dieses Thema zum Schluss des sozialpolitischen Onlinetalks mit etwa 40 Teilnehmenden ein: „Zum Thema Verantwortung in Europa und der Welt könnte man sehr viel sagen, jeder denkt an die Beendigung des Nato-Einsatzes in Afghanistan. Die Synode der EKHN (Evangelische Kirche in Hessen und Nassau) hat an die Bundesrepublik appelliert, ein Kontingent für Resettlement bereitzustellen und Familiennachzug zu ermöglichen. In Deutschland sind die Asylanträge rückläufig. Die Flüchtlingspolitik der EU trägt dazu bei, dass in den Aufnahmelagern der ägäischen Inseln menschenunwürdige Zustände herrschen. Deutschland ist viertgrößter Rüstungsexporteur.“  Von den Kandidat*innen wollte er wissen: „Wie sehen Sie die Verantwortung Deutschlands und wie kann das Grundrecht auf Leben über den Profit aus der Rüstungsindustrie gestellt werden?
        Stefan Sauer (CDU), äußerte nach vierjähriger Mitarbeit im „Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ des Deutschen Bundestages die nüchterne Erkenntnis, „dass wir immer wieder in der Entwicklungshilfe an korrupten Systemen scheitern“. Die Aufgabe sieht er auf europäischer Ebene, doch hier blockierten bekanntlich bisher die osteuropäischen Staaten eine Einigung zur Aufnahme von Flüchtlingen. „Die Oststaaten sind so politisch besetzt, wie wir sie nicht hier haben wollen. Indem wir dies ausgleichen, stärken wir die rechten Lager wie die AfD.“  Lars Nitschke (Grüne) möchte sich für eine menschenwürdige Migrationspolitik einsetzen: „Das gehört zur christlichen Grundhaltung, sichere humane Zuwanderungswege zu schaffen, die Seenotrettung zu entkriminalisieren und Menschen nicht in Krisensituation abzuschieben.“ Zur Bekämpfung der Fluchtursachen müsse es einen Exportstopp in Krisenregionen geben. Auch Melanie Wegling (SPD) findet es als Pazifistin beschämend, dass solche Rüstungsexporte stattgefunden haben und möchte da einen Riegel vorschieben. „Wir leben in einer globalen Welt auf Kosten der unterentwickelten Länder. Es ist unsere Verpflichtung, weltweit solidarisch zusammenzustehen. Klimaflüchtlinge werden hinzukommen. In einigen Regionen dieser Erde wird es Flucht infolge der Klimaveränderung geben.“ Waffenlieferungen in Krisengebiete sollten auch nach Ansicht von Jörg Cezanne (Linke) sofort gestoppt werden. Außerdem sei ein Lieferkettengesetz „schon mal ein guter Anfang“.
        Zum Schluss der politischen Talk-Runde betonte Melanie Wegling, dass wir in globaler Verantwortung mit Blick auf Lebensmittelindustrie, Tierhaltung und den Arbeitsbedingungen in der Kleiderherstellung dringend einen nachhaltigen Lebensstil bräuchten. „Selbstverpflichtung des Einzelnen reicht nicht. Wir können uns die Art von Lebensstil für unseren Wohlstand nicht weiter leisten. Es braucht politische Maßnahmen.“

        Bei diesem Online-Talk im Rahmen der Interkulturellen Wochen Groß-Gerau kamen die wesentlichen Themen für ein friedliches Zusammenleben bei uns und in der Welt offen zur Sprache. Die Abgeordneten haben in der künftigen Regierung große Verantwortung, notwendige Maßnahmen auf den Weg zu bringen, damit ein menschenwürdiges Leben für alle möglich wird. Stefan Klaffehn, Pfarrer für Gesellschaftliche Verantwortung und Diakonie im Ev. Dekanat Groß-Gerau-Rüsselsheim, der die Veranstaltung moderiert hat, wünschte den  Kandidat*innen Durchhaltevermögen und bedankte sich herzlich, dass sie sich politisch in unserem Land engagieren.


        Heidi Förster
        Öffentlichkeitsarbeit

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