Fremdenfeindlickeit
Artikel für den Glockenschlag der 19. Woche 2016
Liebe Leserinnen und Leser,
die letzten Wahlen haben der AFD einen erschreckenden Aufschwung gebracht. Politiker und Politikerinnen, welche demonstrativ Fremdenfeindlichkeit und einen islamfeindlichen Standpunkt vertreten, werden immer Salonfähiger. Wo führt das hin? - Der Umgang damit löst Verunsicherung aus. Vor allem die etablierten Parteien sind davon betroffen, wollen sie doch Wähler halten und nicht weiter verlieren.
So wird oft von Ängsten gesprochen, die ernst genommen werden müssen. Und damit sollen auch die Wähler der AFD und die Mitläufer von Pegida ernst genommen werden. – Ja, es gibt zweifellos Ängste. Nur: wäre es nicht angemessen, das Schüren dieser Ängste auszubremsen? Und wer schürt diese Ängste? Es sind rechte Agitatoren, die Behauptungen aufstellen, die mit dem Verstand nicht mehr nachzuvollziehen sind. Es sind aber auch Politiker der etablieren Parteien – von der einen Partei mehr, von der anderen weniger. Wenn die gleiche Kraft, die gleiche Menge an Geld und Ressourcen dafür eingesetzt werden würde, die Menge der neu hinzukommenden Menschen angemessen aufzunehmen, anstatt sie abzuwehren, wäre dies für alle Seiten hilfreicher, als ständig zu beschwören: „Wir schaffen das nicht!“ – Diese Politiker der etablierten Parteien erreichen noch sehr viel mehr Menschen, als jene der rechtextremen.
Und am meisten Menschen erreichen die Medien, die in einer unverfrorenen Selbstverständlichkeit von „Flüchtlingswelle“, „Flüchtlingsflut“ oder zumindest von einer „Flüchtlingskrise“ sprechen. Diese Schlagworte lassen sich gut verkaufen, was leider Gottes das wichtigste Kriterium für viele Macher in der Medienlandschaft geworden ist. Aber was richten sie damit an? Diese Worte wecken die Vorstellung von Ohnmacht und Verlorenheit dem gegenüber, was da kommt und da ist. Wenn diese Katastrophen-Worte über Monate auf die Bevölkerung einschlagen, dann sollte sich niemand wundern über entstehende Ängste.
Jedoch: haben jene Rechtspopulisten und ihre Anhänger wirklich Angst? Könnte es nicht sein, dass schlicht die Stunde günstig ist für einen Geist, der von Fremdenfeindlichkeit genährt ist? Fremdenfeindlichkeit hat nur bedingt etwas mit Angst zu tun. Sie findet besonders dort Nahrung, wo kaum Fremde sind, wo also überhaupt kein Anlass zur Angst besteht. Es gibt Schätzungen, die sagen: in der deutschen Bevölkerung sind zwischen 20-25% mehr oder weniger unterschwellig fremdenfeindlich gesinnt. Es ist ein übler, menschenfeindlicher Geist, welcher sich in der Regel gegen Minderheiten richtet und diese zum Sündenbock macht. Nach dem dummen, aber leider wirkungsvollen Motto: wenn die nur weg sind, dann ist alles gut. Gegen Dummheit ist kein Kraut gewachsen. Wer ihr aber nachläuft, geht den Weg ins Verderben.
Und dann gibt es noch den Hass. Es gibt mehr und mehr Menschen unter uns, die Gewalt ausüben gegen Ausländer, gegen Muslime, aber auch gegen Juden. Der Fremden- Hass ist der Auswuchs der Fremdenfeindlichkeit. Auch dieser Hass hat mit Angst nur bedingt etwas zu tun. Die Psychologen sagen, Hass ist die Abwehr der Demütigung. Demütigung mag vielerlei, ganz persönliche Hintergründe und Gründe haben. Suche ich jedoch bei der Demütigung nach einer gesellschaftlichen, flächendeckenden Ursache, dann fallen mir unsere Ämter ein: wer einmal mit der Agentur für Arbeit oder dem Job-Center zu tun hatte, der kommt nicht um Demütigung herum. Das liegt meist nicht an den einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Das hat vielmehr etwas mit der Struktur dieser Ämter und den von der Politik gesetzten Ordnungen und Regeln dieser Einrichtungen zu tun. Seit sie 2004 aufgebaut wurden, fiel auch die Beratungspflicht weg. Die seitenlangen Formulare in einem für durchschnittliche Bürger (wozu ich mich auch zähle) unverständlichem Amts- und Juristen-Deutsch, die immer wieder auszufüllen sind, die Überlastung der ständig wechselnden MitarbeiterInnen, die Sanktionsmaßnahmen bringen für fast alle Klientinnen und Klienten unweigerliche Demütigungen mit. – Und wenn wir an die Menschen denken, die nur bedingt unserer Sprache mächtig sind und ebenfalls dem ausgesetzt sind und sein werden über Jahre hinweg, dann dürfte der Schaden, der dieses System anrichtet, unermesslich werden.
Ja, Ängste sind ernst zu nehmen. Aber alle anderen Ursachen für die aufsteigenden bösen Geister auch. Jesus hat den bösen Geistern die Liebe Gottes zu den Menschen entgegengesetzt. Sollten wir ihm in unserem christlichen Abendland nicht nachfolgen und Mitmenschlichkeit üben?
Ihr Wilfried Ritz, Pfarrer in Ginsheim
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