Dekanat Rüsselsheim

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        Grenzen dicht?

        Glockenschlag der 31. Woche

        Liebe Leserinnen und Leser,
        die Terroranschläge in Bayern erschrecken. Mich erschrecken aber auch die Reaktionen von so manchen Politikern. Die AfD nutzt die Anschläge, um gegen den Islam zu polemisieren und immer noch ein „Grenzen dicht!“ zu fordern. Auch der bayrische Finanzminister Söder beeilt sich zu behaupten, dass die Richtigkeit der alten Forderung der CSU die Grenzen zu schließen, sich nun erwiesen habe.

        Die Forderungen nach mehr Überwachung, mehr Militär, mehr Geheimdienst und vor allem größere Ausgrenzung und Abschiebung von Asylsuchenden und Migranten klingen offenbar für viele Bürgerinnen und Bürger beruhigend. Was aber sagen die Fakten? Fakt ist, dass in den USA, Groß-Britannien und Frankreich bereits eine weitaus größere Überwachung vollzogen wird, ohne dass dies Anschläge verhindern könnte. Fakt ist, dass die Anschläge in Paris, in Brüssel, in Nizza und nun auch in Saint-Etienne-du-Rouvray fast ausschließlich von Personen vollzogen wurden, welche der Polizei oder dem Geheimdienst bekannt waren, die auf Listen von „Gefährdern“ standen oder die bereits straffällig geworden und verurteilt waren. Selbst die Terroristen von New York waren damals den Behörden bekannt. Nötig wäre also nicht ein Ausbau der Überwachung der allgemeinen Bevölkerung, sondern erst einmal die Auswertung der vorhandenen Daten. Das ist jedoch teurer, weil personalintensiver.

        Wer das Thema „Grenzen dicht“ aufwärmt, versucht meines Erachtens aus bestehendem Unglück heuchlerisch politisches Kapital zu schlagen. Es offenbart eine Haltung, welche sich auf Kosten von Notleidenden in Szene setzt. Entsprechendes gilt für die Forderung nach Ausgrenzung und Abschiebung. Sicher ist zu erwägen, ob straffällig gewordene Migranten abgeschoben werden sollten. Aber es sollte das letzte Mittel sein.

        Meines Erachtens gilt es zunächst einmal, diejenigen Asylsuchenden, welche nun in Deutschland sind, anzunehmen und aufzunehmen. Der Fehler, welcher sich bei den Terroristen von Paris und Brüssel zeigte, war eben der, dass diese jungen Leute aus der Gesellschaft ausgegrenzt und völlig chancenlos waren. Sie kommen aus sehr stolzen Kulturen, ein Stolz, welcher kaum Demütigung erträgt. Wer aber über Jahre keine Chance hat, eine Ausbildung zu machen, selbst Geld zu verdienen und eine Familie ernähren zu können, der wird zwangsläufig anfällig für extremistisches Gedankengut, gleich welcher Einfärbung. Inzwischen scheint immer deutlicher zu werden, dass in München kein Amoklauf, sondern ein rechtsterroristischer Anschlag verübt wurde.

        Bei den meisten jener Menschen, die in den letzten Jahren nach Deutschland kamen, ist unbedingt ihre seelische Traumatisierung zu berücksichtigen. Hier gilt es professionelle Hilfe zu leisten. Aber auch das kostet Geld. Voraussetzung dabei ist die Sprache. Es bedarf der Sprachschulung auf Seiten der Flüchtlinge und der Therapeuten. Leider aber sind die Sprachkurse überfüllt – für weitere scheint kein Geld da zu sein.

        Inzwischen stellt sich heraus, dass etwa ein Drittel der Flüchtlinge, die 2015 nach Deutschland kamen, nur ein bis vier Schuljahre erlebt haben. Sie sind so gut wie nicht über Informationsflyer ansprechbar, sondern ausschließlich über das Gespräch. Hier ist ungemein viel Bildungsarbeit zu leisten, sowohl bei der Sprachschulung, die hier sehr speziell sein muss, als auch bei der Alphabetisierung als auch bei der Vermittlung ganz alltäglicher Gepflogenheiten. Die unterschiedliche Kultur ist zu überbrücken – mit Gespräch und vertrauensbildenden Maßnahmen. Es ist Fakt, dass fast alle Flüchtlinge andere Werte und Moralvorstellungen haben, als wir sie in unserer westlichen Gesellschaft pflegen. Vor allem was den Umgang zwischen Mann und Frau anbelangt oder der Umgang mit Gewalt ist hier unabdingbar viel Arbeit zu leisten.

        Relativ gut betreut werden die jugendlichen Flüchtlinge. Aber mit 18 Jahren reißt diese Betreuung schlagartig ab. Ich kenne einen 20-jährigen Afghanen, der mit seiner geringen Schulbildung und seiner Lebenshaltung, die in seiner Heimat selbstverständlich sein mag, hier untergehen wird, wenn er nicht massive Unterstützung und Begleitung bekommt. – Wer aber vollbringt dies?

        Die Terroranschläge in München, Würzburg und Ansbach zeigen, dass auch alle Maßnahmen keine Garantie geben. Wir werden wahrscheinlich mit dem Risiko von Anschlägen leben müssen, so wie wir mit dem Risiko von Verkehrstoten leben. Es gilt, sich eben nicht in die Angst jagen zu lassen. Solche Angst dient den Extremisten, gleich welcher Einfärbung.

        Entspannte Ferien mit möglichst wenig Schrecken wünsche ich Ihnen und mir -
        Ihr Wilfried Ritz, Pfarrer in Ginsheim

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