Macht der Meinungsmacher - Flut von Informationen
Liebe Leserinnen und Leser,
Um als Bürger „mündig“ zu sein und an einem demokratischen System teilhaben zu können, benötige ich Informationen. Denn nur mit Informationen kann ich mir meine eigene Meinung bilden, um z.B. wählen zu können.
Nun leben wir im Informations-Zeitalter. Nie gab es so viele Informationen wie heute. Ich versuche mir Informationen aus der Tageszeitung zu holen, ich höre Radio und ab und zu sehe ich die Tagesschau oder die Nachrichten im Fernsehen. Ich lese Fachzeitschriften und über das Internet bekomme ich zudem unendlich viele weitere Informationen. Immer wieder suche ich gezielt. Aber das meiste an Informationen überschwemmt mich. Ich bekomme die unterschiedlichsten „Newsletter“, meine Cousine schickt mir über WhatsApp diverse Filmchen und ab und zu bekomme ich mit, wie meine Frau in Facebook von einer Information zur nächsten scrollt.
Zeitungen haben den Mechanismus, dass sie immer ein ähnliches Quantum an Information bringen. Keine Zeitung besteht an einem Tag aus drei Seiten, weil wenig passiert ist, am anderen Tag aus zwanzig Seiten, weil viel passiert ist. Die Nachrichten-Sendungen im Fernsehen haben, bis auf wenige Ausnahmen, immer die gleiche Dauer. Es kann aber unmöglich an jedem Tag gleich viele wichtige Informationen geben. D.h. ich werde immer auch mit Nichtigkeiten überschüttet, die ich aber dank ihrer professionellen Aufarbeitung nicht unbedingt als solche erkenne.
So habe ich durch die Flut der Informationen das Gefühl, informiert zu sein. - Bin ich das aber wirklich? An bestimmten Stellen merke ich: ich weiß offenbar Entscheidendes nicht. Die Auswahl der Informationen, die mich erreichen, nehmen mir andere ab, ganz gleich ob ich eine Zeitung lese oder die Nachrichten über das Fernsehen oder das Radio aufnehme. Und auch die Redaktionen haben nicht alle Informationen. Welche Informationen mich also tatsächlich erreichen, hängt vor allem von der Informations-Politik derer ab, die diese Informationen herausgeben: die Politiker, die Parteien, die Behörden und Verbände, die Firmen und Konzerne – und am Ende die Medien, die bestimmtes weitergeben, anderes nicht.
Das Internet, welches inzwischen die Informationsquelle der jungen Generation ist, vermittelt den Eindruck, als sei es dort anders. Denn ich habe hier eine viel größere Auswahl darüber, über was ich mich informiere und woher ich mich informiere. Wenn ich mich bemühe, bekomme ich gezielt Informationen, die mir keine Zeitung oder keine Nachrichten liefern. Dennoch: auch hier liegt die gleiche Grenze vor, wie bei den anderen Medien. Informationen, die nicht an die Öffentlichkeit sollen, gelangen allenfalls dorthin, wenn sie von idealistischen Menschen ans Licht gezogen werden.
Und wie kann ich sicher sein, dass die Informationen, die mich erreichen, auch der Wahrheit entsprechen? – Wir Menschen sind so gebaut, dass wir den Informationen am ehesten vertrauen, die der eigenen Meinung entsprechen. So bilden sich – das Internet ist besonders dazu geeignet – ganze Systeme an Meinungsgruppen, die sich gegenseitig ihre Meinung bestätigen, auch wenn die zugrunde liegenden Informationen falsch sind.
Zugleich aber ist die Informations-Flut so groß, dass ich sehr tief im Mediendschungel graben muss, um genau die Informationen zu bekommen, die ich benötige, um mir meine Meinung bilden zu können. Diese Arbeit kann ich oft nicht selbst leisten. So bin ich auch darauf angewiesen, mich auf andere zu stützen, die sich auf Grund der ihnen zur Verfügung stehenden Informationen bereits eine Meinung gebildet haben. – Wem aber kann ich vertrauen?
Macht wird in einer Gesellschaft, wie wir sie hier in West-Europa erleben, kaum noch mit Gewalt ausgeübt. Macht wird mit Meinung(smache) vollzogen. Wer die öffentliche Meinung auf seiner Seite hat, hat die Macht. So liegt es nahe, dass diejenige, welche die finanziellen Mittel haben, sich Experten kaufen zu können, die es verstehen, Meinung zu machen, dies auch tun.
Aber auch hier kann gerade das Internet die Möglichkeit eröffnen, mit einzelnen, unabhängigen Meinungsmachern quer zu steuern. Nicht jeder dieser Meinungsmacher des Internets (Influencer) ist unabhängig. Ein Erkennungsmerkmal mag sein, dass diese(r) Meinungsmacher(in) seine/ihre Informationsquellen offen legt, damit ich sie überprüfen kann. Um diese Mühe komme ich, wenn ich vor mir und anderen redlich sein will, nicht umhin. Um eine Gesellschaft stabil zu erhalten, ja um jegliche Gemeinschaft stabil zu halten bedarf es dieser Redlichkeit. Die Verlockung, die Wahrheit so zu formen, wie sie dem eigenen Zweck dienlich ist, scheint so alt wie die Menschheit zu sein. Schon die Ur-Mütter und -Väter unseres christlichen Glaubens haben dies gewusst. Im (nach biblischer Zählung) 9. Gebot heißt es: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“.
Einen wachen Blick und erhellende Informationen wünscht sich und Ihnen
Ihr
Wilfried Ritz, Pfarrer in Ginsheim
Diese Seite:Download PDFTeilenDrucken